Hausmagazin
dafür dagegen - Raumplanung ist demokratischer Interessenausgleich
Thomas Meier, Raumplaner, Marti Partner, Lenzburg
2017
Wie viel Stadt das Dorf vertragen darf, das entscheidet die Bevölkerung. Die nationale Gesetzgebung ist hier eindeutig: Keine Raumplanung ohne Mitwirkung der Bevölkerung. Dass das zu kontroversen Diskussionen führt ist einsichtig und vom Gesetzgeber wohl auch so gewollt. Denn schliesslich geht es um einen Ausgleich von Interessen. In dieser Diskussion kommt jeweils dem Planer – quasi als Moderator eine besonders wichtige Bedeutung zu.
Um die Frage nach der Verträglichkeit des Städtischen im Dörflichen beantworten zu können, will der Raumplaner zunächst wissen: In welchem Raum liegt das Dorf? Auskunft geben die Raumgliederung gemäss dem Bundesamt für Statistik und die kantonalen Richtpläne, für den Aargau namentlich das kantonale Raumkonzept. Aus diesen lässt sich folgendes ableiten:
• Wenn das Dorf gemäss dem Raumkonzept Aargau im ländlichen Entwicklungsraumliegt, sorgen die Gemeinden dafür, dass sich die Dörfer von innen heraus mit sorgfältigen Neu- und Umbauten und mit sanfter Nachverdichtung erneuern. Dorf soll also Dorf bleiben.
• Die ländlichen Zentren im ländlichen Entwicklungsraum haben Stützpunktfunktion bei der Basisinfrastruktur im ländlichen Raum.
In solchen Dörfern kann «Stadt im Ortskern» ein sinnvolles Entwicklungsziel sein.
• In den urbanen bzw. städtischen Entwicklungsräumen wohnen rund drei Viertel der Bevölkerung. Der Bund hat diese Räume in rund 50 Agglomerationen mit Kern- und Gürtelgemeinden sowie in Einzelstädte unterteilt. Ein grosser Teil des Bevölkerungs- und Arbeitsplatzwachstums soll in diesem gut erschlossenen Raumstattfinden. Die urbanen Entwicklungsräume sind stark mit Verkehr belastet. Siesollen städtebaulich aufgewertet werden.
Anzustreben sind demnach städtische Räume. Dorf wird transformiert in Stadt. Der Entwicklungsweg zur Stadt kann kurz sein oder sehr lang.
Bevölkerung mit einbeziehen
Gemäss dem Bundesgesetz über die Raumplanung sollen die Behörden dafür sorgen, dass die Bevölkerung bei Planungen in geeigneter Weisemitwirken kann. Dies verpflichtet den Raumplaner, die Gemeinderäte und die Bevölkerung zu befragen: Wieviel Stadt verträgt Ihr Dorf?
Es versteht sich, dass diese Frage oft sehr kontroversdiskutiert wird. So habe ich schon erlebt, dass der Vorschlag, eine Kerngemeinde mit knapp 16’000 Einwohnern offiziell als Stadt zu bezeichnen, in einer Abstimmung abgelehnt wurde. Die Mehrheit der Stimmberechtigten wollte nicht in einer Stadt wohnen, selbst wenn die Grösse, der Raumtyp und die Zentrumsfunktionen der Gemeinde klar auf eine Stadt hinwiesen. Es ist aber auch möglich und zweckmässig, dass der Befund nach einem intensiven Workshop mit der interessierten Bevölkerung in einem urbanen Entwicklungsraum so lautet, dass der kleine Ortsteil beim Bahnhof Stadt werden kann und der räumlich klar abgetrennte grössere Ortsteil mit ländlichem Charakter Dorf bleiben soll.
Bei der Innenentwicklung ist die Einschätzung der Bewohner sehr wichtig. Die Distanz zum Nachbarn, die Aussicht und der Schattenwurfspielen eine grosse Rolle. Da bei der Klärung der Frage nach der «Stadtverträglichkeit» nur die bisherigen und nicht auch die zukünftigen Bewohner mitwirken können, ist meine Erfahrung, dass das Dorf auch in urbanen Räumen nicht allzu viel Stadt verträgt.
Abwägung der Interessen
Raumplanung bedeutet Abwägung der verschiedenen öffentlichen und privaten Interessen unter Beachtung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Der Dialog der verschiedenen Beteiligten kann dazu führen, dass das Dorf auch im urbanen Raum (noch) Dorf bleiben soll oder dass ein Dorfteil sich in Richtung Stadt entwickeln kann. Es führen bekanntlich viele Strassen nach Rom. Für den Raumplaner ist es wichtig, dass der Dialog breit abgestützt und fachlich fundiert geführt wird.
Die Schweizer bleiben lieber im Dorf
Wenn es nach dem Willen der meisten Siedlungsplaner ginge, würden nur mehr urbane Konzepte einer modernen Raumplanung umgesetzt: verdichtetes Bauen, Baulücken füllen, Ersatzneubauten errichten, Industriebrachen nutzen. Doch wie sieht es mit den Raumansprüchen der Bevölkerung aus? Welches Siedlungsmuster möchten die Menschen? Diesen Fragen hat sich die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft(WSL) angenommen und 2015 eine repräsentative Umfrage gestartet. Ergebnis: Die Mehrheit der Bevölkerung bevorzugt den dörflichen Charakter. Das Dorf erhielt die beste Note, die zweitbeste die Kleinstadt. Überschaubare Siedlungen, schnell im Grünen, eine gute Verkehrsanbindung, lauten die Wunschvorstellungen. Doch viele der Befragten wollen auch nicht auf ein urbanes Leben verzichten.
Nach Ansicht der WSL-Forscher hat die Schweiz beste Voraussetzungen, um den verschiedenen Ansprüchen an die Wohnumgebung gerecht zu werden und empfiehlt ein Siedlungsmuster mit vielen kleinen und mittleren Städten. Will heissen: Regionale Zentren sollen zu Kleinstädten entwickelt werden mit kleinen Läden, Restaurants und öffentlichen Plätzen. Doch aufgepasst: Allzu urbane Siedlungskonzepte würden in den Dörfern abgelehnt. Eine gesteigerte Attraktivität für Pendler und Firmen könne, so die Forscher, zum Bumerang werden: Ansprüche an Grundstücksflächen steigen, der Ausbau von Verkehrsflächen wird erhöht. «Eine strenge Raumplanung wird also nötig sein, um zu verhindern, dass die Siedlungsentwicklung ins Gegenteil der gewünschten Entwicklung kippt», heisst es im WSL-Bericht «Raumansprüche von Mensch und Natur». Und weiter: «Mit einer liberalen Haltung in der Raumplanung, die allen Wünschen der Investoren nachgibt, laufen die Regionen die Gefahr der Zersiedelung.»
Die WSL-Forscher haben für die Umfrage das Obere Freiamt im Kanton Aargau, das Luzerner Seetal, die Linthebene in der Region Gaster und die Gemeinde Glarus Nord untersucht. Alle Regionen haben etwas gemein: Das Ballungszentrum Zürich ist innerhalb von weniger als einer Stunde per Auto oderöffentlichen Verkehr erreichbar. Und es gibt noch unverbaute Freiräume, eine wunderbare Landschaft und diverse Naturgebiete. Alles Kriterien, die sich laut Umfrage eine Mehrheit der Bevölkerung grundsätzlich wünscht.