Hausmagazin

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Dynamik des Temporären im alten Gebäude - Das Beispiel Neubad Luzern

Alex Willener, Dozent und Forscher Hochschule Luzern

2019

Man stelle sich folgende planerische Aufgabenstellung vor: Erwünscht ist ein lebendiges kulturelles, kreativwirtschaftliches und gesellschaftliches Zentrum, das alle denkbaren Kulturformate ermöglicht, tagtäglich die verschiedensten Menschen anzieht, eine inspirierende Wirkung auf die Besuchenden ausübt und zu einem neuen städtischen Hotspot wird. Wie liesse sich dies bewerkstelligen? Mit einem Neubau, einem vorausgehenden Architekturwettbewerb und einem professionellen Kuratorium für den Betrieb? Das beschriebene Ergebnis entstand aus der Nachnutzung eines baufälligen Gebäudes.

Prestige dank Farbe

Das Hallenbad Biregg in Luzern wurde 1969 eröffnet – ein typischer Bau der architektonischen Moderne, erbaut vom einheimischen Architektenpaar Lis und Adolf Ammann. Seit 2013 wird das Hallenbad unter dem Titel «Neubad» zwischengenutzt, denn im Jahr davor hatte man auf der Allmend ein neues städtisches Hallenbad eröffnet. Wann die Abrissbirne zuschlagen wird, ist offen. Vorgesehen ist, auf diesem Areal dereinst gemeinnützigen Wohnungsbau zu realisieren. Die dafür notwendige Planung kann noch Jahre dauern.

Diese Lücke nutzt der Verein Netzwerk Neubad. Er entstand, als es mit dem Bad zu Ende ging. Sein Konzept: das Hallenbad «kultur- und kreativwirtschaftlich» zu nutzen. Der Verein erhielt ursprünglich einen bis2017 befristeten Vertrag und startete im September 2013 mit dem Betrieb. Dazugehören: ein Restaurant, Räume für kulturelle und gesellschaftliche Anlässe, Coworking Space und Ateliers für Startup-Unternehmen, Kreativschaffende, NGO‘s, Ateliers, Urban Gardening und Projekte wie Repair Café, Neubad Lectures und vieles andere mehr. Das Herzstück des Hauses ist der gekachelte Pool, 25 Meterlang, 15 Meter breit. In diesem atmosphärisch einmaligen Raum finden Konzerte statt, Lesungen, Theater, Seminare bis hin zum «Kitchen battle», einemgemeinnützigen Wettbewerb von Profikochequipen zugunsten von Projekten in Krisengebieten.

Zu Beginn investierte der Verein eine halbe Million Franken und zusätzlich rund 8000 Stunden Freiwilligenarbeit. Das Engagement zahlte sich aus – der Betrieb läuft hervorragend: Jährlich finden mehr als 300 Veranstaltungen statt, besuchen rund 120‘000 Menschen den Ort, werden über 2 Millionen Franken Umsatz gemacht, und über 40 Menschen wird ein Auskommen ermöglicht – dies alles bis vor kurzem ohne Subventionen. Mittlerweile verlängerte die Stadt die Nutzungsdauer bis zum Jahr 2023.

Gebäude als Möglichkeitsräume

Was erklärt diesen Erfolg? Grundsätzlich kann man sich ein leerstehendes Gebäude als «Möglichkeitsraum» vorstellen. Und Möglichkeitsräume regen Menschen zu Ideen, Fantasien und Taten an. Vom französischen Philosophen Bruno Latour, der die «Akteurs-Netzwerk-Theorie» begründet hat, stammt die These, dass auch Dinge gesellschaftliche Akteure sein können. Wenn an dieser Theorie etwas dran ist, dann trifft sie ganz bestimmt für solche umzunutzenden Gebäude zu. Sie ziehen Leute mit Ideen an und verleiten sie dazu, den Raumauszuloten, auszutesten und auszureizen. So wie im Neubad Luzern. Dort bestand die ganz grosse Herausforderung darin, die Frage zu beantworten, wie man so etwas Spezielles wie ein Hallenbad neu nutzen und zu neuem Leben erwecken kann.

Das Netzwerk Neubad, ein aufgrund der Ausschreibung der Stadt Luzern entstandener breiter Zusammenschluss von Menschen und Organisationen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, liess sich von zwei Grundgedanken leiten: von einer «Kultur der Offenheit» und von «Inspiration durch Vielfalt». Zwei Mottos mit tieferer Bedeutung. In den Arbeitsbereichen, den Ateliers und dem Coworking Space hat das Betriebsteam seine Büros, der Sitz des «B-Sides-Festivals», der «Vereinigung Ärztinnen und Ärzte gegen den Atomkrieg», die Wasser-NGO «Viva con Agua». Designer, Fotografinnen, Kunsthandwerker, Grafiker, Schneiderinnen, Landwirtschaftsarchitektinnen, Informatik- und Marketingbetriebe nutzengeteilte Workspaces. Da entstehen laufend neue Kontakte. Im Bistro werden Ideenausgetauscht sowie interdisziplinäre Projekte lanciert. Die Vielfältigkeit der Formate im Pool und im Keller-Klub (dem ehemaligen Heizungsraum) sorgt über dies dafür, dass das Bistro immer wieder andere Leute frequentieren – ein Garant dafür, dass nicht eine bestimmte Szene das Haus dominiert. Und wer mal drin war, der oder die kommt wieder.

Es ist wohl nicht nur dem Gebäude zuzuschreiben, dass hierein unglaublich engagiertes und motiviertes Betriebs- und Gastroteam sowie eine ideenreiche Betriebsleitung das Haus immer weiter mit Schubkraft versorgen. Und dass auch weiterhin Freiwillige unter dem Namen «Rettungsschwimmer» bestimmte Jobs ausüben, hat wohl auch mit dem spannenden Umfeld und der Möglichkeit zutun, an einem einmaligen Projekt teilzuhaben. Tatsache ist aber auch, dass die hohen Unterhaltskosten des baufälligen Gebäudes einerseits und das Ziel, zahlbare Arbeitsplätze, Gastro- und Kulturangebote anzubieten, auch zu betriebswirtschaftlichen Zwängen führen. Die Löhne sind bescheiden, die personellen Ressourcen knapp. So ist es nicht nur Segen, sondern auch Fluch der guten Auslastung, wenn das Personal in der Samstagsnacht die Hinterlassenschaft einer grossen Veranstaltung aufräumen muss, damit der Flohmarkt am Sonntagvormittag pünktlich beginnen kann.

Dauerhafte Nutzung?

Die Zwischennutzung hat ihre eigene Dynamik. Hier werden Ideen umgesetzt im Wissen, dass es einmal wieder vorbei sein wird. Diese Endlichkeit schafft Intensität. So ist das Neubad in Kürze zu einem Kristallisationspunkt der Luzerner Kulturszene geworden, zu einem Ort, von dem Impulse ausgehen und die Stadt attraktiver und lebendiger macht – für die Macher und Macherinnen wie die Besucher. Das weckt natürlich Lust auf Dauer –viele sagen, sie könnten sich das Stadtleben ohne Neubad nicht mehr vorstellen. Aber wäre es eine dauerhafte Nachnutzung, hätte sich wohl nicht die gleiche Intensität gebildet. Und, so widersprüchlich es klingen mag: Die Dauerhaftigkeit wäre in diesem Fall nicht nachhaltig. Das Gebäude wurde noch vor dem Ölschock der 70er Jahre mit riesigen einfach verglasten Fensterflächen und einer gewaltigen Ölheizung gebaut. Eine energetische Sanierung wäre hier nur mit unverhältnismässigem Mitteleinsatz machbar und wirtschaftlich nicht tragbar. Das Dilemma zwischen der Erhaltenswürdigkeit sowie der Beliebtheit eines Gebäudes einerseits und der Notwendigkeit, von fossilen Brennstoffen wegzukommen andererseits, tritt hier offen zutage.

Zur Person: Alex Willener ist Dozent und Forscher an der Hochschule Luzern und mit seiner Firma SONARA selbständig als Projektleiter und Berater im Bereich soziale und kreative Stadtentwicklung tätig. Zudem ist er vielfältig als Praktiker, Aktivist und Initiant in der Stadt- und Gemeindeentwicklung unterwegs – so zum Beispiel als Mitgründer und mehrjähriges Vorstandsmitglied des Netzwerks Neubad in Luzern.

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