Hausmagazin

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Das Stadthaus Lindenhausstrasse – ein Erfahrungsbericht im verdichteten Bauen

Dominik Lutz, dipl. Techniker HF Bauplanung Architektur

2022

In Luzern erhielt ein 100-jährigerBau aus der Gründerzeit eine moderne Aufstockung. Das Projekt ist als Antwort auf die Thematik der innerstädtischen Verdichtung zu verstehen. Der Umbau des Stadthauses stellte die Architektinnen und Architekten aber vor neue Herausforderungen und forderte individuelle Lösungen.

 

Bereits der erste Entwurf für die Sanierung und den Umbau des Wohnhauses an der Lindenhausstrasse in der Stadt Luzern entstand im Büro von «Scheitlin Syfrig Architekten». Einige Jahre später, als sich die Aufgabe konkretisierte, wurde es mit dem Bauprojekt beauftragt. Das über 100-jährige Stadthaus, dessen Fassade mit weissen Stuckaturen an frühere Zeiten erinnert, sollte eine zeitgemässe Aufstockung erhalten.

Die auf das Baujahr 1910 datierten Bestandspläne, welche die Grundlage für die Analyse des Gebäudes liefern sollten, entsprachen nicht mehr der aktuellen Situation und mussten durch eigene Aufnahmen ergänzt werden. Auch Korrekturen warennotwendig: Die Raumhöhen waren zwar ähnlich, aber nie exakt gleich und ebenso wenig entsprachen sie den Plänen, wodurch die Bestandsaufnahme deutlicherschwert wurde. Die Ungenauigkeiten des Bestandes galt es mit dem Umbau zu korrigieren.

Die strassenseitige Stein- und Stuckfassade gilt bis heute als «erhaltenswert», wodurch sie während der Bauphase einen besonderen Schutz genoss. Alle Projektbeteiligten waren sich einig, dass der Charme der Fassade für das bestehende Strassenbild prägend und auch weiterhin schützenswert sein soll. Spezialisten wurden mit der Auffrischung und Sanierung der historischen Fassade beauftragt .Der Bestand behielt seine Repräsentativität, während sich der dunkle Aufbaudarüber zurücknimmt. Die Aufstockung wurde von einer Konstruktion aus horizontalen Lamellen ummantelt. Indem man die horizontale Struktur auch für die Klapp- und Schiebeläden übernommen hat, vermögen diese innerhalb der Fassade zu verschwinden. Selbst vor den Fensterfronten umlaufen die Lamellen das Gebäude. Mehrere Monate beanspruchte die Detailplanung dieser Fassade, damit die Fluchten und Abstände bis zum First letztlich übereinstimmten. Zur Befestigung wurden die Profile in eine Unterkonstruktion von vertikalen Halteschienen eingeklinkt. Präzise Spengler-Arbeiten sorgen für einen nahtlosen Übergang zwischen Bestand und Neubau.

Um den Innenraum unabhängig von der Fassade bearbeiten zu können, mussten vorübergehend zusätzliche Holzbalken montiert werden, welche die Fassadeabstützten. Das Gebäudeinnere konnte daraufhin auf seine Statik-Grundlagen zurück gebaut werden. Eine detaillierte Planung war notwendig, um ein neues Heizungs- und Lüftungssystem im Gebäude einzufügen und Sanitärelemente in bestehende Deckenbalken zu integrieren.

Während das Haus ab dem vierten Oberschoss einemreinen Neubau entspricht, erfuhren die Wohnungen bis zum dritten Obergeschoss eine Komplettsanierung. Mit der Idee, dem historischen Bestand auch innenräumlich Rechnung zu tragen, wurden alte Elemente in das neue Konzept integriert. Die Fenster des Gebäudes wurden für die Wärmedämmung komplett erneuert, aber millimetergenau an derselben Stelle wie zuvor positioniert. Türrahmen blieben erhalten und erinnern an die charakteristischen Wohnräume von früher. Wie die markanten Fries-Elemente der Türrahmen sorgen dunkle Holzfries im Fussboden für eine Differenzierung der Räume. Gleichzeitig kann damit auf neue Weise der historische Bestand abgebildet werden. Die Integration alter Elemente wird in den strassenseitigen Räumen sichtbar, also dort, wo die geschichtsträchtige Bestandsfassade vorgelagert ist.

Auf der Hofseite erhielt das Haus einen neuen Anbau mit ganz flächiger Lamellenkonstruktion. Die Aluminiumprofile ummanteln hier auch die vorspringenden Balkone, sodass diese mit der Fassade in einer Einheit verschmelzen. Da Sicherheitsvorschriften keine Lamellen am Balkongeländer zulassen, wurden die Aussenräume zusätzlich mit Glas als Wintergärten ausgebaut.

Abgesehen von solchen Materialeinsätzen entspricht das ganze Stadthaus Lindenhausstrasse einem reinen Holzbau, sowohl was den Umbau des Bestandes als auch die neue Aufstockung betrifft. Während sogar der Liftschachtaus Holz fabriziert wurde, bildet das Treppenhaus die Ausnahme. Es präsentiert sich – überraschend für einen städtischen Altbau – in Sichtbeton mit abgestimmten Keramikfliesen.

Das Treppenhaus erschliesst pro Geschoss eine Wohneinheit. Die Maisonett-Wohnung im Attikageschoss verfügt als einzige über eine interne Treppe, die in eine Galerie mit Dachschräge führt. Auf Oblichter wurde hier verzichtet, um die ganze Fläche des Daches für die Energiegewinnung durch eine Photovoltaikanlage nutzen zu können. Der gedrehte Giebel sorgt dafür, dass die Frontausrichtung der alten Stuckfassade zusätzlich unterstrichen wird und das Gebäude – auch hofseitig – als eigenständige Einheit im Strassenbild erkannt wird.

Obwohl ein Ersatzneubau die einfachere und weniger komplizierte Variante gewesen wäre, haben sich die Bauherrin und «Scheitlin Syfrig Architekten» für den Erhalt des historischen Bestandes entschieden. Und dafür, in der Frage der innerstädtischen Verdichtung einen Lösungsvorschlag zuliefern. Während noch wenig vergleichbare Referenzen existieren, nimmt das Werk damit eine Vorreiterposition ein. Insbesondere im Städtebau dürfte die Nachfrage nach Umbau und Verdichtung zunehmen. Die mutige Lösung am Standhaus Lindenhausstrasse wurde bereits mit einer Auszeichnung durch den «ICONIC Award: Innovative Architecture 2020» prämiert.

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