Hausmagazin

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Dorfmitte neu entwerfen

Prof. Miroslav Šik, Architekt BSA / Professor ETH Zürich

2017

Alles entscheidet sich in der Mitte. Nur wenn es gelingt, die in den meisten Fällen verunstaltete ehemalige Dorfmitte durch adäquate architektonische und raumplanerische Massnahmen neu zu gestalten, ist Wachstum ohne Verlust des dörflichen Charakters möglich. Entscheidend ist dabei nicht eine wortgetreue Beachtung des Strukturschutzes als vielmehr die Einfühlung des Bauenden in das Alte.

Wo einst geschmückte Wirtshäuser die historische Ortsdurchfahrt säumten, wo eine Strassengabelung sich ausweitete zum Dorfplatz mit Schotterbelag und Brunnen, dort lag – meistens abseits der Hauptstrasse positioniert – die alte sakrale Landschaft des Bauerndorfes mit Friedhof, Pfarrhaus und Kirche, deren Turm aus der Ferne den alten Ortsmittelpunkt bezeichnete. Fortschreitend veränderten Gottesverlust, Pendelverkehr und moderne Bauten fast jede Struktur des Bauerndorfes.

Wünschte man sich, jenseits aller nostalgischer Denkmalpflege, eine neue lebendige Dorfmitte auferstehen zu sehen, so entwerfe man eine aus drei Elementen komponierte Architektur: bestehend aus einem Zentrum mit halböffentlicher Mischnutzung, aus prägnanten Aussenräumen und aus verdichteten Kernhäusern.

Zentrum mit Mischnutzung

Das Architekturelement «Zentrum mit Mischnutzung» stellt als Bauprogramm für einen attraktiv und lebendig bebauten Dorfkern eine primäre Voraussetzung dar. Nachdem bereits gebaute Kirche, Schule und Gemeindehaus die Dorfmitte – wenn überhaupt – nur temporär bespielen, eignet sich funktionaleinzig eine Bauanlage mit halböffentlicher, Publikums- und konsumorientierter Erdgeschoss-Nutzung als Dorfzentrum. Eine solche Bauanlage, die an den altenkleinen Dorfladen erinnert, dimensioniert man grösser, gestaltet sie attraktiver und stattet sie mit kleinen Mantelnutzungen und bequemen Besucherparkplätzen, eventuell auch mit Tankstelle aus. Vorsichtig, auf der Basis von überprüften Erfahrungen, definiere man diesen Nutzungsmix und die angemessene Zentrumsgrösse. Separat erschlossene Alters- und Kleinwohnungen bieten sich in dem hybriden Mix als sinnvolle Obergeschoss-Nutzung an, weil sich deren Grundrisse eher verkehrsverträglich gestalten lassen.

So gut solche Zentren funktionieren und die Dorfmitte durch Aktivitäten beleben, so stark sind sie im Gewöhnlichen verwurzelt. Als Anreicherung des Bauprogramms und als Ortsbereicherung denke man weniger an Kunstgalerie oder Kunsthandwerk, sondern höchstens an eine Kombination von Kaffee und Bäckerei oder an im Laden integrierte Internetbar und Kiosk, beides selbstverständlich nicht allzu städtisch designt.

Aussenräume mit Gestaltqualität

Für die lebensfähige Dorfmitte stellen Aussenräume mit Gestaltqualität ein wichtiges Architekturelement dar, welches primär aus einemmassstäblich dimensionierten Dorfplatz besteht. Der Dorfplatz, ein zunächst bloss flächenmässiger Mittelpunkt, kommt erst durch Raum prägende Gestalt von Haus und Aussenraum zustande, ohne übertriebene Abmessungen und Effekte. Funktional ausgestattet mit Ladenvorplatz, gedeckter Bushaltestelle und einem Portal der öffentlichen Garage, angereichert mit formstarkem Baum als Raumschmuck, wird ein derart geformter Platz zur Ortsmitte und zum Gemeinschaftsort. Eine ähnliche raumstärkende Gestaltung müsste auch der öffentliche Strassenraum um den Platz herum erfahren. Manchmal stellt man als schönen Nebeneffekt einen durch Verkehrswachstum verloren gegangenen Dorfplatz wieder her, den die meisten Bewohner – falls überhaupt – nur noch aus Dorfchroniken kennen.

Kernhäuser mit Verdichtung

Ein zweiseitiges Architekturelement sind Kernhäuser mit Verdichtung. Sie schützen einerseits das Ortsbild, indem aus alter Kernarchitektur und Neubauten ein architektonisches Ensemble entworfen wird. Andererseits vergrössern die Neubauten das Flächen- und Raumangebot an modernen, zentral gelegenen Laden-, Wohn- und Gewerbeflächen. Verständlich und handlungsweisend formuliert die Bauordnung einzig den Schutz von historischer und origineller Bausubstanz und sorgt damit für das Überleben von einzelnen wertvollen Bauten.

Nach dem Wortlaut des Strukturschutzes sollten die meisten Neubauten im Dorfkern unter anderem die kubische Form und Lage von Altbauten übernehmen, womit sich aus Erfahrung keinerlei Gestalt- oder Stimmungsqualität einfordern lässt, welche der historischen auch nur annähernd gleicht. Fehlt dem modisch Bauenden die Einfühlung in das Alte und vor allem der Wille dazu, so ignoriert er mit Leichtigkeit die ortsspezifische Architekturstimmung und unterläuft dadurch die erwünschte Integration in die unmittelbare Umgebung des Dorfkerns. Setzt er opportunistisch seinem Bau ein Satteldach mit sichtbaren Holzbalken oben drauf, so hilft er dem Ensemble-Gedanken nur wenig, zumal eine Unzahl von überdimensionierten Lukarnen und Einschnitten das Dach verunstalten. Der Dorfkern weist auf der schönen Seite ein paar Bauernhäuser auf, besser oderschlechter renovierte Wirtshäuser, vereinzelt ein wertvolles Bürgerhaus aus Altzeit und leider auch auf der weniger schönen Seite allerhand Fragmente und Ungestalt durch solitäre Blöcke und moderne Kisten. Daraus ein Ortsbild zu weben, wird manchen Architekten vor unlösbare Probleme stellen. Gelänge die Mischung von Alt und Neu, von Bauernhaus und Bürgerhaus, von Satteldach und Kiste, von Dorftradition und Stadtimport, entstünde eine ansprechende Architektur, die für manche Dorfmitte im Dornröschenschlaf einen Neuanfang bedeutete.

 

Eine neue Ortsmitte für Merenschwand

Dass eine Bundesrätin an einer Polit-Matinee einer regionalen Partei auftritt, kommt nicht alle Tage vor. Es sei denn, es geht um die Zukunft ihres Heimatdorfes: So geschehen im April 2016, als Bundesrätin Doris Leuthard zum Thema «Lebensraum Merenschwand» auf Einladung der CVP im Restaurant Schwanen referierte. Konkret ging es um die Veränderungen, die indem einst typischen Strassendorf anstehen, um die Herausforderungen in der Siedlungs- und Verkehrspolitik – national wie regional.

Denn Merenschwand ist schon seit langem auf der Suche nacheiner neuen Identität, nach einem neuen Ortskern, nach einem verträglichen Seite an Seite von Neu und Alt. Das stellt Anforderungen: Der Merenschwander Dorfkern gehört zu den vom Bund ausgeschiedenen Ortsbildern von nationaler Bedeutung. Wenn neue Bauten eingefügt werden, so sind auch ihre Bedeutung und ihr Gewicht im Verhältnis zu den historischen und bleibenden Gebäuden zu definieren. Welche Raumbedürfnisse können also wo abgedeckt werden? Wo sollen Wohnungen entstehen? Wo braucht es Läden? Wo entsteht ein Ort der Begegnung? Nicht zu unterschätzen ist dabei auch die Verkehrsproblematik.

Ein Teil dieser Planung hat «feldmann projekte» übernommen: Gemeinsam mit Miroslav Šik entwickelt das Unternehmen im Herzen von Merenschwand – dort wo sich der Wissenbach, die Zürich-, die Luzerner- und die Bremgartenstrasse kreuzen – eine Zentrumsbebauung mit etwa 30 Wohnungen. Im Erdgeschoss dieser Überbauung sind ein Lebensmittelgeschäft der Landi sowie eine Tankstelle geplant.

Das Ensemble besteht aus zwei traditionellen, mit Satteldacheingedeckten Baukörpern, die an einem sinusförmigen Gelenkbau im Erdgeschossmiteinander verknüpft sind. Die beiden Wohnbauten stehen, wie bäuerliche Mehrzweckbauten, prominent mit ihrer Traufseite zur Strasse.

Der Lebensmittelladen liegt im Hochparterre. Über den Gelenkbau führt eine geschwungene Treppenanlage zum Ladeneingang. Davor entsteht ein Platz, wo eine grosse Linde zu stehen kommen soll. Diese Platzausweitung beim geplanten Kreisel an der Zürichstrasse soll dereinst die neue Ortsmitte von Merenschwand sein.

 

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