Hausmagazin
Es braucht mehr als Satteldächer und Holzfassaden
BARBARA TRUOG
2017
Es sind nicht Quantitäten, die den Unterschied zwischen Stadt und Dorf ausmachen. Entscheidender ist die Qualität der Bauten, der sie verbindenden Zwischenräume und der sozialen Begegnungsräume. Dabei gilt: Nicht alles, was alt ist, ist auch wertvoll. Und für das Dorf gilt die Warnung, nicht alle Sünden der Städte zu wiederholen, die die Menschen auf das Land und ins Dorf getrieben haben.
Die Frage, wie viel Stadt ein Dorf vertrage, zielt auf unterschiedliche Lebensformen, die zunächst als Gegensatz erscheinen. Ausdruck finden diese Lebensformen beispielsweise in der Siedlungsstruktur und in der Grösse der Bauten, in der Grösse und Gestaltung der Freiräume, im Vorhandensein von individuellen Gärten und gemeinschaftlichen Einrichtungen. Aber auch die soziale Struktur, wie die möglichen und tatsächlich gepflegten zwischenmenschlichen Beziehungen sind in Stadt und Dorf unterschiedlich – zumindest glauben das viele. Dabei ist die Anonymität in den grossen, teilweise ungeordnet gewachsenen Dörfern oft grösser als in Stadtquartieren. Solche verfügen häufig über einen zentralen Quartierplatz mit Läden und Lokalen als Treffpunkt. Manche Stadtviertel, vor allem solche, die durch den Siedlungsbau von Genossenschaft und öffentlicher Hand entstanden sind, besitzen ein lebendiges Quartierleben. Die Eingangsfrage müsste also vielmehr lauten: Wie soll Siedlungserweiterung geplant werden und wie soll sie stattfinden, damit lebenswerte Wohnräume entstehen – sowohl im Innen wie im Aussenbereich, für die einzelnen Bewohner und Bewohnerinnen, aber auch für die Gemeinschaft als Ganzes? Und was sind lebenswerte Wohnräume?
Satteldächer genügen nicht
Zu solchen lebenswerten Wohnräumen gehören aus Sicht des Heimatschutzes auch der Erhalt von historisch gewachsenen Strukturen und von identitätsstiftenden Einzelbauten und Enembles. Manche Landgemeinde präsentiert sich auf ihrer Homepage mit einem altehrwürdigen Gebäude oder dem in eine grüne, idyllische Landschaft eingebetteten Dorfkern. Gleichzeitig fördert dieselbe Gemeinde in den Kernzonen den Abriss von alten Gebäuden und Ersatzbauten. Dabei verkennen solche Gemeinden völlig, dass es nicht das Satteldach, die Sprossenfenster und allfällige Holzverkleidungen an der Fassade sind, welche den Charme des Ortskerns ausmachen. Es sind vielmehr die Geschichte atmenden Unregelmässigkeiten, die schiefen Wände, die Patina der Gebäude, auch die unspektakulären alltäglichen Zweckgebäude. Sie tragen zur Unverwechselbarkeit eines Dorf oder Stadtbildes bei; sie haben einen hohen Wiedererkennungswert. Auch grosse Gärten oder Parkanlagen von Fabrikantenvillen werden heute nur noch als Baulandreserve betrachtet. Anstelle des stilvollen Gebäudes im durchdacht gestalteten Garten stehen dann anonyme Blöcke in Allerweltsarchitektur, ohne Bezug zueinander. Blöcke, die irgendwo stehen könnten, das schweizerische architektonische Niemandsland in der Agglomeration.
Dieselben Sünden wiederholen
Es geht nicht um Quantität, sondern um Qualität. Qualität der Siedlungsplanung, die nicht nur die Bauten, sondern die Qualität des grünen Zwischenraums und des sozialen Raums berücksichtigt. Es geht um die ästhetische Qualität der Bauten, um den respektvollen und bedachten Umgang mit unseren in die Jahre gekommenen Gebäuden und Siedlungen. Nicht alles, was alt ist, ist auch wertvoll. Aber sehr oft werden allzu schnell Neubauten erstellt, statt die Sanierung und das Weiterbauen des Bestandes ernsthaft zu prüfen. Und es werden die gleichen Sünden im Dorf wiederholt, welche die Menschen bis vor kurzem aus den Städten aufs Land trieben.
Satteldächer genügen nicht
Der Spagat zwischen der Geschichte und den Ansprüchen der Moderne
Grosse, nicht mehr gebrauchte Scheunen in einem Dorfkern zu Wohnzwecken umzunutzen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe – die in Zeiten knappen Baulandes immer wichtiger wird. Ausserdem ist «die Raumentwicklung nach innen» das Zauberwort der heutigen Raumplanungsgesetzgebung. Will heissen: Die baulichen Möglichkeiten in bereits besiedelten Gebieten besser ausnutzen. Davon betroffen ist vor allem auch das Freiamt, wo Bauernhäuser und Scheunen zur Geschichte der Dörfer gehören und mit ihren riesigen, beschaulichen Dächern manch ein Ortsbild prägen. Dies gilt es zu erhalten, wenn man die Gebäude zu Wohnzwecken umnutzen will. Wichtig ist dabei, dass jede Situation, begonnen mit der Geschichte, mit den Identität prägenden Elementen neu und für sich geprüft werden muss: Welche Gebäude müssen erhalten bleiben, welche dürfen rückgebaut und im gleichen Volumen wieder erstellt werden und wie können neue Gebäude oder Elemente hinzugefügt werden? So kommt etwa der Fassadengestaltung bei der Umnutzung oder dem Neubau eines Gebäudes im Dorfkern eine besondere Bedeutung zu. Gleichzeitig wollen künftige Bewohner und Bewohnerinnen lichtdurchflutete Wohnungen haben. Das ist nur ein Beispiel, bei dem es für Architekten und Bauherren bei der Umnutzung alter Scheunen und Ökonomiegebäude zum Spagat kommt. «feldmann projekte» hat mit dem Umbau eines Bauernhauses mit grosser Scheune mitten im geschützten Dorfkern von Maschwanden bereits entsprechende Erfahrungen gesammelt. Das Wohnhaus wurde erstmals 1662 urkundlich erwähnt, die Scheune stammt von 1826. So lag es denn auf der Hand, den Dialog zwischen Alt und Neu zu suchen: Altes Konstruktionsgebälk oder intakte Steinmauern wurden in der umgebauten Scheune bewusst als Kontrastelement eingesetzt, auch typische Stallfenster und die aus dem späten 18. Jahrhundert stammenden Türbeschläge blieben erhalten, der alte Kachelofen und originale Riemenböden wurden integriert. Licht ins Haus kommt einerseits aus Schleppgauben im Dach – ohne die Dachwirkung zu beeinträchtigen –, andererseits durch grosse Fenster, die mit einer Holzschalung teilweise überdeckt sind, sodass sie von aussen nicht als solche in Erscheinung treten. Die grosse Frage bei der Umgestaltung alter Substanz ist, ob unsere Gesellschaft aus der Vergangenheit zu lernen vermag, um Bauten mit hohem architektonischen Wert zu entwickeln. Angesichts der vielerorts vorherrschenden «Allerweltsarchitektur» sind Zweifel angebracht