Hausmagazin
Bauen Frauen anders?
MARY PEPCHINSKI, LEITERIN DER AUSSTELLUNG «FRAU ARCHITEKT»
2018
Wie kann eine Frau in der Architektur erfolgreich sein?
Ein Blick in die Baugeschichte zeigt vielfältige Wege, mit denen sich Architektinnen in einer von Männern dominierten Welt behauptet haben. Unsere Autorin Mary Pepchinski erklärt die Strategien.
Um 1900 trat eine Gruppe von Frauen in Deutschland erstmals der damaligen gesellschaftlichen Auffassung entgegen, dass sich die Arbeit eines Architekten nicht mit Weiblichkeit vertragen würde. Sie forderten das Recht auf eine universitäre Ausbildung und erreichten bis 1909, dass sämtliche technischen Universitäten in Deutschland auch Frauen zum Studium zuliessen. Trotzdem blieb es schwierig, als Architektin einen Arbeitsplatz zu finden. Weitverbreitete Vorurteile wie die, dass Frauen nicht mit Finanzen umgehen könnten und nicht in der Lage wären, Arbeiter auf einer Baustelle zu beaufsichtigen, führten dazu, dass Architektinnen sich auf Strategien verlegten, mit denen sie sich gesellschaftlichen Geschlechtervorstellungen entweder anpassten oder sie neu zu verhandeln suchten. Diese Situation blieb das gesamte 20. Jahrhundert über bestimmend und ist es zum Teil auch heute noch
Anfänge
Es ist wenig überraschend, dass die ersten Architektinnen vor allem Projekte realisierten, bei denen sie selbst oder jemand aus ihrer Familie der Bauherr war. In den 1920er-Jahren war es dann ein üblicher Weg für Architektinnen, mit einem männlichen Partner zusammenzuarbeiten, um an bedeutenden öffentlichen Projekten arbeiten zu können. Diese Frauen hatten in der Regel Kunstgewerbe oder bildende Künste studiert. Ihre Entwurfsbeiträge betrafen vor allem das Mobiliar und die Innenausstattung – Bereiche, die als weniger prestigeträchtig angesehen wurden. Studierte Frauen hatten auch die Möglichkeit, eine Position im öffentlichen Dienst anzustreben, sie mussten allerdings unverheiratet bleiben, um ihre Stelle nicht zu verlieren. Die Zeit des deutschen Nationalsozialismus bedeutete für eine Reihe vielversprechender jüdischer Architektinnen das abrupte Ende ihrer Karriere. Darunter waren die Bauhaus-Schülerinnen Friedl Dicker und Zsuzsa Bänki sowie Ilse Bloch (geb. Cats), die an der TH Berlin ihren Abschluss gemacht hatte. Alle drei Frauen wurden in Auschwitz ermordet. Andere, wie Lotte Cohn in den 1920er Jahren und Elsa Gidoni-Mandelstamm und Judith Stolzer Segall in den 1930erJahren, wanderten in das damalige britische Mandatspalästina aus. Dort wurden Architekten dringend gesucht, und auch Frauen wurden mit der Leitung verschiedenster Projekte betraut; darunter Stadtplanung, kollektiver Wohnungsbau und öffentliche Gebäude. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten Frauen in Deutschland, unabhängig davon, ob sie in der DDR oder in der BRD arbeiteten, grössere Chancen, wenn sie sich auf Bauprojekte mit sozialer Ausrichtung konzentrierten wie etwa Wohnungsbau, Einrichtungen für Kinder und Jugendliche sowie Inneneinrichtungen.
Strategien
Anhand der Biografien von Architektinnen lassen sich Erfolgsstrategien identifizieren, die über individuelle persönliche Umstände und Konstellationen hinausweisen. In der Regel sind Architektinnen sehr mobil und auch bereit, auszuwandern oder weite Reisen in Kauf zu nehmen, um ihre Berufschancen zu verbessern. Gertrud Schille fuhr für ihre Planetarien nicht nur ins westdeutsche Wolfsburg, sondern reiste auch nach Bagdad und ins lybische Tripolis. Ferner profitieren erfolgreiche Architektinnen häufig von der materiellen und intellektuellen Unterstützung durch Kolleginnen im gleichen Berufsfeld und bieten derartige Unterstützung auch selbst an. Emilie Winkelmann, die 1907 als erste Frau in Deutschland in Berlin ein Architekturbüro eröffnete und zu Beginn des Ersten Weltkriegs 15 Mitarbeiter beschäftigte, erhielt viele ihrer Aufträge von Frauenorganisationen oder von einflussreichen Frauen, für die sie Häuser und Villen baute. Marie Frommer gab 1936 ein florierendes Büro in Berlin auf und ging ins Exil nach New York. Kontakte mit dortigen Berufsverbänden von und für Frauen halfen ihr, sich neu zu etablieren. Deshalb war sie schon bald in der Lage, ein Büro zu eröffnen, das sich auf die Innenausstattungen von Wohnungen und Geschäften spezialisierte – ein Geschäftszweig, in dem Frauen als Inhaberinnen selten waren, aber dennoch eher Akzeptanz fanden als anderswo. Heutzutage ist zwar die Hälfte aller Architekturstudenten in Europa weiblich – was den beruflichen Erfolg anbetrifft, hinken Frauen aber nach wie vor den Männern hinterher. Strukturell sind die Strategien von Architektinnen daher weiterhin ähnlich, sie haben sich lediglich in ihren konkreten Formen den heutigen Umständen angepasst. Auch wenn selten darüber gesprochen wird: Wer als Frau über zusätzliche materielle Ressourcen verfügt, sei es für die Aufnahme eines Kredits bei der Bürogründung oder für die Finanzierung von Kinderbetreuung, hat deutlich höhere Chancen, trotz gesellschaftlicher Benachteiligung und Doppelbelastung durch Beruf und Familie erfolgreich zu sein.
Auch wenn Frauen mittlerweile in ganz unterschiedlichen Bereichen als Architektinnen tätig sind, arbeitet eine überdurchschnittlich hohe Anzahl von ihnen immer noch an Projekten, bei denen das soziale Engagement im Vordergrund steht.
Partnerschaften
(Büro)Partnerschaften mit Männern geben Architektinnen weiterhin einen für ihre berufliche Entfaltung förderlichen Rahmen – zumal die Aufteilung der Verantwortlichkeiten und die traditionellen Geschlechtergrenzen nicht mehr so eindeutig markiert sind wie in der Vergangenheit. Auch wenn Frauen mittlerweile in ganz unterschiedlichen Bereichen als Architektinnen tätig sind, arbeitet eine überdurchschnittlich hohe Anzahl von ihnen immer noch an Projekten, bei denen das soziale Engagement im Vordergrund steht. Die Bereitschaft zur Mobilität und zur Anpassung an unterschiedliche Arbeitskontexte ist auch weiterhin ein Weg für Frauen, um sich die Chance auf eine unabhängige Entwurfstätigkeit zu sichern. Die tschechische Architektin Eva Jiricna erarbeitete sich in London, wohin sie nach dem Prager Frühling 1968 geflohen war, einen Ruf als herausragende Innenarchitektin, und die in Deutschland geborene Annabelle Selldorf blieb nach ihrem Studium in New York und gründete ein Büro, das mittlerweile international bekannt ist.
Wettbewerbe
Der offene Wettbewerb bleibt aber nach wie vor die wichtigste Möglichkeit für Architektinnen, um an grosse öffentliche Aufträge zu kommen. 1983 erregte Zaha Hadid internationales Aufsehen, als sie einen visionären Entwurf für den Wettbewerb zum Freizeit- und Erholungspark «The Peak Leisure Club» in Hongkong einreichte. Die ersten beiden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts sind für Frauen in der Architektur eine Zeit des Übergangs. Von einer vollen Gleichstellung mit ihren männlichen Kollegen sind sie noch immer weit entfernt, dennoch sind hinsichtlich der Zahl beschäftigter Architektinnen und der Vielfalt an Rollenmodellen, die Frauen in diesem Berufsfeld zur Verfügung stehen, deutliche Verbesserungen zu verzeichnen. Es wird die Aufgabe der zahlreichen jungen Frauen sein, die heute Architektur studieren und in die entsprechenden Berufe drängen, neue Strategien zu entwickeln, die ihnen einen Platz in der Welt der Architektur sichern. Strategien, so ist zu hoffen, die sich nicht mehr auf den Kampf gegen überholte Geschlechtervorstellungen und deren Umgehung konzentrieren, sondern die es ihnen erlauben, ihr kreatives Potenzial ohne Behinderung durch Diskriminierung voll zu entfalten.
Mary Pepchinski
Mary Pepchinski wuchs in New York auf und studierte Architektur und Kunstgeschichte an der Columbia University. Nachihrem Studium arbeitete sie in Architekturbüros in New York und Berlin. In Berlin wurde sie an der Universität der Künste (UdK) mit einem Thema zur Frauen- und Genderforschung promoviert. Sie lehrte Architektur an der TU Berlin und der TU Graz und ist zur Zeit Professorin im Studiengang Architektur der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden, wo sie das Fach Entwerfen verantwortet. Ihre Forschungsschwerpunkte sind aktuelle Architektur und Urbanistik sowie Architektinnen im 20. Jahrhundert.