Hausmagazin
Grosses Glück auf kleinem Raum?
Ulrike Kägi, Inhaberin LifePur, wohnt im Tiny house
2022
Vor zwei Jahr hat Ulrike Kägi ihr grosses Haus verlassen und ist umgezogen: von 240 m2 auf eine Wohnfläche von nur 27 m2. Mitgenommen hatte sie einen Sessel, die Kaffeemaschine und ein paar Gartenmöbel. Für sie ist heute alles gut. Aber das Leben im Miniformat ist nicht für jedermann geeignet.
An was denken Sie als erstes, wenn sie morgens in ihrem Tiny House aufwachen?
Da denke ich nicht primär an das Tiny House (lacht). Es sind andere Gedanken – an die Familie oder an Freunde. Aber wenn ich aufwache, schaue ich zuerst aus meinem Fenster. Ich schlafe oben und kann im Liegen direkt nachdraussen schauen. Der Ausblick ins Grüne, übers Tal bis zum nächsten Berg ist einfach unbeschreiblich. Jeden Tag sehen Himmel und Landschaft anders aus. Und dann denke ich, wie glücklich ich über mein Haus bin. Ich liebe einfach mein Haus.
Seit wann wohnen sie im Tiny House?
Im Februar 2020 habe ich angefangen mit der Planung und dem Bau und etwa sechs Monate später war es fertig. Seit August 2020 wohne ich in meinem Tiny House.
Und wie haben sie vorher gewohnt?
Vorher habe ich in einem grossen Haus gewohnt. Ich bin also von240 m2 auf 27 m2 geschrumpft. Wir waren eine fünf köpfige Familie. Mein Mann ist vor zehn Jahren gestorben. Und ich wusste damals schon, dass ich nicht allein in diesem grossen Haus bleiben werde. Meine Kinder wollten das Haus nicht, da sie selbst Häuser besitzen und an einem anderen Ort leben. Ich habe dann nach anderen Möglichkeiten gesucht. Ich hatte zunächst an gemeinschaftliche Wohnformen gedacht und überlegt, mit einer Freundin zusammen zu wohnen, oder auch Leute zu mir in mein Haus aufzunehmen. Aber da hat sich vieles zerschlagen. Ich habe eine Zeit lang auch mit einem Asylbewerberzusammengewohnt und ihm ein Zimmer in unserem Haus angeboten. Aber das waren alles nur Übergangslösungen.
Wie sind sie dann zu ihrem Tiny House gekommen?
Ich habe mir verschiedene Möglichkeiten angeschaut, welche Wohnform am besten zu mir passen könnte. Ich hätte mir auch das Leben in einer Jurte vorstellen können. Ich habe auch davon geträumt, in der Natur zu sein. Zudem hatte ich immer den Drang, den Winter in der Wärme im Süden zu verbringen, also einen Zweitwohnsitz im Ausland zu haben. In den Wintermonaten habe ich einiges ausprobiert, ich war beispielsweise in Afrika und auch in Thailand als Nanny. Im Februar2020 bin ich aus Thailand zurückgekommen, da ging die Pandemie bereits los. Dann bin ich nach Deutschland gefahren, um meinen Vater zu unterstützen. In seinem Dorf habe ich zufällig so ein Tiny House stehen sehen. Der ortsansässige Schreiner hatte es gebaut. Ich habe ihn angesprochen und direkt eines bei ihm in Auftrag gegeben. Da ich aufgrund der Corona Situation nicht so einfachzwischen Deutschland und der Schweiz pendeln konnte, bin ich erstmal bei meinem Vater in Deutschland geblieben und habe angefangen zu planen. Der Schreiner hat mir erklärt, was machbar ist, denn man muss bestimmte Grenzen, Masse und Gewichte einhalten, wenn das Tiny House auch strassentauglich sein soll. Und dann habe ich mein Haus geplant und so gezeichnet, wie ich es haben wollte. Und dann haben wir das zusammen entwickelt. Im August 2020 war der Bau fertig. Das ging alles sehr, sehr schnell. Aber ich muss auch sagen, ich hatte mich mental mit der Thematik sicher schon während neun Jahren beschäftigt. Ich war auf verschiedenen Tiny House-Ausstellungen, habe mit Vereinen Kontakt aufgenommen etc. Ich habe dann einfach die Gelegenheit genutzt, die sich mir geboten hat.
Wie ist ihr Tiny House dann in die Schweiz gekommen?
Nachdem das Haus fertig war, haben wir es in die Schweiz überführt. Der ganze Überführungsprozess war nicht einfach. Ich habe eine Spedition beauftragt, die ich noch von unserem Einfamilienhausbau kannte. Denn es war ein Fertigteilehaus, das wir aus Deutschland importiert hatten. Die Firma hat mir dann die nötigen Papiere besorgt. Auch die Strassenzulassung war kompliziert. Da habe ich dann wiederum eine Firma in Deutschland gefunden, die sich um die ganzen Zulassungsformalitäten gekümmert hat. Es ist viel Administration, aber man kann sich auch viel Hilfe holen und muss glücklicherweise nicht alles selbst machen. Und es ging zu dem Zeitpunkt ja auch gar nicht wegen Corona. Ich durfte in Deutschland nicht mal aufs Strassenverkehrsamt. Dann ging das nur über eine Firma, die wiederum den Zugang zu all diesen Ämtern hatte.
Und in der Schweiz hatten sie ein Grundstück oder einen Stellplatz für ihr Tiny House gefunden?
Das war auch ein Zufall. Ein Nachbar meines Sohnes ist auf mich zugekommen, und bot mir an, die Hälfte seines Gartens zu mieten, da er ihm und seiner Frau zu gross geworden war, um ihn allein zu bewirtschaften. Wir haben dann alles ausgemessen und ich habe bei der Gemeinde die Pläne meines Tiny Houses nochmals eingereicht und es ist tatsächlich bewilligt worden. Wir mussten noch den Anschluss an die Wasser-, Abwasser- und Stromversorgunggewährleisten. Die Leitungen konnten wir alle über das Haupthaus meines Vermieters anschliessen. Die Anschlüsse mussten lediglich bis zu meinem Tiny House verlängert werden –Ich musste also keine direkten Anschlussgebühren bezahlen. Deshalb haben sich die Kosten in Grenzen gehalten.
Bei der Bewilligung gab es dann auch keine weiteren Probleme oder Hürden?
Nein, das lief alles problemlos. Es gab nur von Seiten des Brandschutzes die Auflage, die Westseite des Tiny Houses nicht mit einer Holzverkleidung zu versehen, sondern mit Blech, weil dort ein öffentlicher Parkplatz angrenzt. Aber das war es auch schon.
Wie haben sie es geschafft sich von 240 m2 auf 27 m2 zu reduzieren?
Ich habe ja mein Haus verkauft, und da musste alles bis zu einem bestimmten Tag geräumt sein. Aber ich wusste, was ich brauchen kann und behalten will und was keinen Platz mehr hat. Von den ganzen Möbeln im Haus habe ich eigentlich nur meinen Sessel mitgenommen. Wichtig waren mir auch mein grosser Gartentisch mit den Gartenstühlen, damit ich in meinem neuen Garten auch Gäste empfangen kann. Ach ja, und mein Liegestuhl für die Terrasse ist auch noch mitgekommen. Sonst habe ich eigentlich alles verschenkt oder ins Brockenhaus gegeben. Meine Kinder haben für ihre Familien auch vieles genommen. So haben wir Schritt für Schritt alles verteilt.
Und wie hat sich das angefühlt?
Es fiel mir schon schwer zu entscheiden, was wie wohin gehen soll. Aber als ich mich dann entschieden hatte und ich die Dinge loswurde und auch gesehen habe, wer die Sachen genommen hat, dann war ich eigentlich sehr erleichtert. Es tat gut zu sehen, dass die Sachen an gute Orte gekommen sind und sich die Leute darüber gefreut haben.
Und wie gestaltet sich heute ihr Alltag in ihrem Tiny House? Mussten sie an ihren Routinen etwas ändern?
Ich bin kein Routinen-Mensch. Meine einzige Routine ist mein Kaffee am Morgen. Und daran hat sich nichts geändert. Wenn ich morgens aufstehe, mache ich meinen Kaffee und dann sitze ich in meinem Sessel und trinke ihn. Das war vorher so, und das ist jetzt immer noch so. Alles andere ergibt sich einfach. Ich musste mir aber angewöhnen, alles, was ich benutze, immer gleich wieder wegzuräumen. Wenn ich nähe, kann ich beispielsweise nicht alles wie früherstehen lassen. In unserem Haus hatte ich einen Nähtisch, ich hatte einen Basteltisch für die Kinder, ich hatte einen grossen Schreibtisch. Und heute habe ich nur noch meinen Laptop und eine kleine Kiste, in der ich meine Schreibsachen aufbewahre. Das ist jetzt eben anders. Grosse Neuanschaffungen sind jetzt nicht mehr möglich – die brauche ich allerdings auch gar nicht. Daran habe ich mich gewöhnt und es ist in Ordnung so. Aber das hängt vielleicht auch mit meinem Alter zusammen. Ich weiss, dass die Jahre, die mir noch bleiben, weniger werden. Für mich ist es ein sehr gutes Gefühl, dass ich nicht mehr an allen Dingen festhalten muss.
Welche Vorteile bringt das Tiny House mit sich?
Wie gesagt, ich habe vor allem gelernt, dass ich weniger brauche und dass ich auch mit weniger zufrieden bin. Natürlich kann ich da nur für mich sprechen, aber für mich ist es gut so wie es ist. Ich habe mir für das Tiny House auch praktisch nichts Neues gekauft, auch keine Vorhänge oder so. Ich habe aus dem, was ich von meinem alten Haus hatte, etwas gemacht.
Für wen eignet sich aufgrund Ihrer Erfahrungen ein Tiny House? Braucht es dafür eine bestimmte Lebenseinstellung oder Lebenssituation?
Ich denke, man muss eine gewisse Überzeugung mitbringen, dass man mit wenig auskommen will, sonst wird man auf Dauer nicht glücklich in einem Tiny House. Den Minimalismus muss man bewusst leben. Wenn man grosse Ansprüche hat, dann funktioniert das reduzierte Leben nicht. Ich sehe diese Lebensform auch nicht für Familien mit Kindern, obwohl es einige ausprobieren. Es kann auch schon für Paare schwierig sein. Ich hätte es mir beispielsweise nicht mit meinem Mann zusammen vorstellen können, weil das Wohnen im Tiny House nicht viele Rückzugsmöglichkeiten zulässt. Und was man etwa in den Zeitschriften sieht– also das Tiny House auf der Waldlichtung oder auf der Alp –, das funktioniert ohnehin nicht, weil es dafür keine Bewilligung gibt. Ich hatte grosses Glück, dass ich mein Tiny House in diesen Garten stellen konnte.
Was sind denn die Nachteile vom Leben im Tiny House?
Ich kann fast keinen Besuch empfangen. Das heisst, ich kann eine Freundin zum Nachtessen einladen, dann haben wir es gemütlich. Aber ich habe zehn Enkelkinder und kann sie nie alle zusammen einladen. Ich hatte zwar auch schon mal eine ganze Familie zu Besuch, da waren wir dann zu sechst, und das Haus war proppenvoll (lacht). Grössere Feste feiern kann man nur, wenn wir auch draussen sein können.
Wenn sie heute nochmal in ein Tiny House ziehen würden, würden sie heute etwas anders planen?
Eigentlich ist mein Haus wunderschön, so wie es ist. Ich habe sehr viel Licht und Raum nach oben. Mir gefällt auch die grosse Tür sehr gut, und dass ich direkt auf die Terrasse gehen kann. Das würde ich alles genauso wieder machen. Aber ich würde es einfach besser isolieren für die klimatischen Verhältnisse in der Schweiz. Denn im Winter ist es in meinem Tiny House nicht besonders warm. Da es auf Rädern steht, konnte ich es unten nicht so gut isolieren. Wenn ich es für die Schweiz nochmal bauen würde, dann würde ich wahrscheinlich eine Containerbauweise mit Punktfundament wählen. Dann kann man es besser isolieren und dann wäre es wirklich winterfest. So wie es jetzt gebaut ist, wäre es für das spanische Klima beispielsweise sehr gut geeignet. Ich könnte es gut nach Spanien mitnehmen. Meine Vision ist, im Winter irgendwo zu leben, wo das Klima milder ist, denn ich werde älter und merke, dass mir die kühle Feuchtigkeit nicht so guttut.
Sorgt das Haus in der Gemeinde, in der es steht, für viel Aufmerksamkeit?
Ja, am Anfang war das schon lustig. Die Leute sind drum herumgegangen und haben gestaunt. Manche habe ich eingeladen, ins Haus zu kommen. Dann waren sie meist verblüfft darüber, wie viel Platz es doch gibt, und dass eigentlich alles da ist, was man braucht.
Welches Potenzial haben ihrer Meinung nach Tiny Houses mit Blick auf die zukünftige Siedlungsentwicklung? Werden es noch mehr werden oder bleibt es eher ein Nischenprodukt?
Ich denke schon, dass es sich weiterentwickeln wird, vor allem, dass man mit diesen Wohnformen Baulücken temporär schliessen kann. Es ist auch ein soziales Thema, wenn man die finanzielle Lage im Alter berücksichtigt, gerade bei alleinstehenden Frauen. Das Wohnen ist für sie oft ein zu grosser Kostenfaktor und die Rentenbezüge sind meist gering. Ein Tiny House kann da die Wohnkostenreduzieren. Aber die Anschaffung ist natürlich eine einmalige Investition. Ich zahle jetzt nur die Miete für das Grundstück. Die Stromrechnung für das letzte Jahrbetrug 200 Franken. Und Wasser und Abwasser ist bei der Miete inklusive. Also ich zahle für 100m2 Land inklusive Wasserkosten 120 Franken pro Monat. Und den Rest des Gartens, den ich noch nutze, muss ich nicht bezahlen, weil ich ihn bewirtschafte. So kann ich günstig leben und bin sehr glücklich über diese Lösung. (Das mit den Anschlüssen hat sie schon zuvor erläutert. Und bis ins letzte Detail muss die Leserschaft nicht wissen, was sie wie vertraglich geregelt hat etc.)
Eine Frage zum Schluss: Hat ihr Haus einen Namen?
Nicht wirklich. Aber als ich einen Ordner mit den wichtigsten Bildern von der Planungs- und Entstehungsgeschichte angelegt hatte, gab ich ihm den Namen «My Tiny». Da habe ich gemerkt, wie wichtig es für mich ist. Es ist mein Tiny House, ich habe es geplant, es ist genauso geworden, wie ich es wollte und es gehört mir. Was ich aber auch sagen muss, ich liebe zwar mein Haus, aber ich binde mich nicht daran. Viele fragen mich, ob ich wirklich in meinem Tiny House alt werden will. Falls mich eines Tages die Umstände zwingen, verschenke ich es. Ich habe in meinem Leben schon so Vieles verschenkt. Vielleicht will mal eines meiner Enkelkinder das Haus haben.
Was sind Kleinwohnformen?
Eine Kleinwohnform (KWF) ist eine Wohneinheit mit höchstens 40 m2 Hauptnutzfläche (nach SIA 416). Sie steht im Gegensatz zu herkömmlichen Immobilien nicht auf festen Fundamenten, sondern entweder auf Rädern und / oder Punktfundamenten, sodass sie einfach verschiebbar ist. Sie muss alle hygienischen Bedingungenerfüllen, entweder direkt in der KWF oder auf dem Grundstück. Eine Kleinwohnform ist als Ergänzung zu den gängigen Wohnformen und als Hauptwohnsitz zu verstehen und nicht als Zweitimmobilie.
Verein Kleinwohnformen Schweiz
Seit seiner Gründung im Jahr 2018 setzt sich der Verein «Kleinwohnformen Schweiz» dafür ein, dass Bauwagen, Tiny Houses, Minihäuser, Jurte und Co. als anerkannte Wohn- & Lebensform akzeptiert werden. Das Wohnen auf unter 40m2 steht dabei für gelebte Nachhaltigkeit und dafür, sich aufs Notwendigste zum Leben zu beschränken.