Hausmagazin
Von der Industriehalle zum Herz des Quartiers - Das Luwa-Areal und die Halle 5
Delia Dölle, Projektentwicklung und Research bei feldmann projekte
2019
Ehemalige Industrieareale wie das LUWA-Areal in Muri sind besondere Orte. Sie sind auf vielschichtige Weise mit ihrer Umgebung verknüpft. Historisch stehen sie für Aufschwung und Expansion im Industriezeitalter, gleichzeitig spiegeln sie als Brache den wirtschaftlichen Umbruch von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft wider. Das LUWA-Areal ist ein Beispiel für die Neuentwicklung einer Industriebrache und die bewusste Auseinandersetzung mit ihrer industriellen Vergangenheit.
Industriebrachen haben nicht nur eine eigene Geschichte und Bedeutung für sich selbst, sie haben auch das Image und die Identität ganzer Städte geprägt – sei es als grosser Arbeitgeber oder als Produzent eines bestimmten, weit bekannten Produkts. Mit Industriebrachen sind in der öffentlichen Wahrnehmung deshalb auch immer emotionale Werte verbunden. Baulich betrachtet wurden Industrieanlagen stets für einen bestimmten Produktionsablaufkonzipiert, wodurch unterschiedliche Typologien industrieller Bauten entstanden sind, die sich je nach Struktur besser oder schlechter für eine Umnutzungeignen.1 Die Transformation ehemaliger Industrieareale ist deshalb eine komplexe Aufgabe. Für Planer, Entwickler und Investoren stellt sich daher die Frage, wie die Verknüpfung von industriellem Erbe und neuer Entwicklung gelingt– kann, sollte oder muss sogar etwas zwingend erhalten werden? Oft liegen dabei die Nutzungschancen, der erwartete Mehrwert und Entwicklungsrisiken dichtbeieinander.
Die Geschichte des LUWA-Areals und der Umgang mit dem Bestehenden
Ursprünglich siedelte sich auf dem Areal die Otto-Wild AG mit ihrer Röhrenfabrik und Kesselschmiede an. Die Firma Wild war damals der grösste industrielle Betrieb in Muri. Anfang der 1960er Jahre fasste die 1935von den Gebrüdern Bechtler in Zürich gegründete Lüftungssysteme- und Apparatefabrik LUWA AG in Muri Fuss und erwarb die Fabrikanlagen. Auch die LUWAAG war bis in die 1980er Jahre ein wichtiger Arbeitgeber in Muri. Doch Strukturwandel, Globalisierung und Diversifizierung der Produktepalette führten Ende der 2000er schliesslich zur Aufgabe des Areals.
Bereits im Jahr 2008 war das LUWA-Areal im Rahmen des Wohnstandort-Wettbewerbs Aargau eines von fünf Industriearealen, mit welchem auf konzeptioneller Stufe gezeigt werden sollte, wie eine Umnutzung in ein überwiegend zu Wohnzwecken genutztes Areal aussehen kann. Schon im damaligen Siegerprojekt kristallisierte sich die Halle 5 als Quartiersmittelpunkt heraus. Im Jahr 2009 erwarb die Feldmann-Immobilien AG das Areal und entwickelte diese Projektidee weiter. Ziel war es, auf der 21‘000qm grossen Fläche des Areals ein neues Dorfzentrum mit etwa 200 Wohnungen sowie Büros, Gewerbebetrieben, Ateliersund Gastronomie zu entwickeln.
Obwohl die ehemaligen Fabrikhallen des LUWA-Areals nicht unter Denkmalschutz standen und es somit von Seiten der Behörden keine Erhaltungspflicht gab, entschied man sich gegen einen kompletten Rückbau der alten Strukturen. Stattdessen sollte die Halle 5, die sich am besten für eine Umnutzung eignete, als Zeuge der fast hundertjährigen industriellen Vergangenheit des Areals und als identitätsstiftendes Gebäude für das Gesamtareal erhalten bleiben. Somit wurde auch der gesellschaftlichen und emotionalen Bedeutung des Areals für Muri Rechnung getragen. Aus reinrenditetechnischer Sicht wäre ein vollständiger Abbruch der alten Industrieanlagen sicher die ökonomischere Lösung gewesen. Altlasten, Sanierungskosten und die bau- und planungsrechtlichen Herausforderungen waren nur die eine Seite der Entwicklungsrisiken. Auch aufgrund ihrer Grösse von 110mLänge, fast 15m Breite und 10m Höhe war die Investoren- und Nutzungstauglichkeit fraglich. Man sah jedoch auch den langfristigen Mehrwert der Halle 5 als Namens- und Imagegeber für das neue Quartier.
Um das Entwicklungsrisiko zu verringern, einigte sich die Feldmann-Immobilien AG mit der Gemeinde, dass für die Halle 5 keine Ausnützungsziffer gilt. Auf diese Weise entstanden grössere Gestaltungsspielräume für die Integration späterer Nutzungen in das Gebäude. Im Gegenzug wurde in einem Betriebs- und Nutzungskonzept festgelegt, dass in der Halle 5 vor allem publikumswirksame und dem öffentlichen Interesse dienende Nutzungen ihren Platz finden sollen. Mittels Betriebs- und Nutzungskonzept sollte so aus der Halle 5 ein multifunktionaler Ort als Kultur- und Veranstaltungshalle, mit Gastronomiebetrieb sowie Ateliers für vielfältige Kleinnutzungen entstehen.
Der Umbau der Halle 5
Beim Umbau der Halle 5 stellte sich die Frage nach dem Umgang mit dem Bestehenden dann ganz konkret. Denn inwieweit darf man in die bestehende Substanz eingreifen, dass der ursprüngliche Charakter und die ehemalige Funktion noch ablesbar bleiben? Und welche Eingriffe sind notwendig, um die bestehende Substanz an die heutigen Anforderungen anzupassen?
Vor allem die energetische Sanierung ist immer schwierig. Der industrielle Charme, der heute mit der Umnutzung alter Industriebauten verbunden wird, täuscht darüber hinweg, dass das Arbeiten in den Fabrikhallendamals alles andere als angenehm war. Sie mussten keinen energetischen oderlärmtechnischen Anforderungen genügen. Im Sommer wurde es heiss, im Winter kalt und durch die grossen Maschinen war es oft laut und stickig. Jedoch hätte eine Wärmedämmung sowohl die Innen- als auch Aussenwirkung der Halle 5 deutlichverändert.
Die Problematik wurde gelöst durch den Einbau zusätzlicher Strukturen in die Halle aus Holz und Glas. In zwei dreigeschossigen Holzkuben sind die Ateliers untergebracht und grossflächige Verglasungen ermöglichen einen zeitgemässen Gastronomiebetrieb, gleichzeitig bleibt die alte Industriehalle sichtbar. Die Strukturen der Innenwände der Halle wurden belassen und nur wo nötig gestrichen, um den industriellen Charakter zu erhalten. Relikte wie die quer über die Halle reichenden Kranbahnen samt Krankabine, Elektroinstallationen, Stromkästen oder ein Signalhorn erinnern zusätzlich an die Zeit der industriellen Produktion. Auch in ihrer Aussenwirkung wurde die Halle 5 belassen. Die Aussenfassade wurde wo nötig ausgebessert und farblich aufgefrischt. Das bestehende Fassadenfensterbandwurde in seiner Wirkung über die ganze Fassade belassen, auch ursprüngliche Eingangstore und Türen konnten erhalten werden.
Das neue Quartiersherz – Die Halle 5 als Begegnungsort und Pulsgeber für das LUWA-Areal
Ziel war es, mit dem Umbau der Halle 5 ein Quartierherz zu schaffen, das für das LUWA-Arealimagegebend und identitätsstiftend ist. Ein Gebäude allein macht aber noch kein Quartier. Es braucht das Zusammenspiel aus gebauter Umwelt, Nutzungsmöglichkeiten und gemeinsamem Erlebnis. Die Halle 5 wird als multifunktionaler Begegnungsort genau diese Erlebnisse schaffen. Gleichzeitig ist die Halle 5 auch Entwicklungsmotor für das Quartier. Die Mischung aus Gastronomie, gemeinschaftlichem Nutzraum und Ateliers ermöglicht es, dass immer wieder neue Ideen entstehen und umgesetzt werden können, sich Bewohner und Nutzer die Räume immer wieder neu aneignen und Impulse setzen können. Auf diese Weise kann eine Identifikation mit dem Quartier und ein positives Imageentstehen. Denn die Halle 5 schafft auch die Verbindung nach aussen ins Dorf Muri, indem sie allen offen steht. Das unterscheidet das LUWA-Areal von anderen Entwicklungen.
Im Frühjahr 2019 sind die ersten Bewohner eingezogen, bald folgen auch die ersten Gewerbe und Dienstleister – sie alle sind die Quartierspioniere und erwecken das Areal und die Halle 5 zum Leben. Ob die «Rechnung» aufgeht, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Auch wenn die Bauarbeiten fast abgeschlossen sind, steht das LUWA-Areal noch am Anfang und muss erst einmal die Chance bekommen, sich zu entwickeln und zu wachsen.