Hausmagazin

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Von der Singlewohnung zum Container mit Perspektive

JUDITH FRANKHAUS BRAUN

2018

Unser Rollenverständnis und die damit Frauen und Männern zugeschriebenen Rollen sind seit längerem ein gesellschaftliches Diskussionsthema. Geschlechterrollen sind einem steten Wandel unterworfen und müssen daher immer wieder neu diskutiert und ausgehandelt werden. Diese emanzipatorischen Prozesse beeinflussen und beeinflussten auch unser Wohnbedürfnis. Es ist noch nicht lange her, da war der Wohnraum einer Frau auch ihr Arbeitsort, während der gleiche Wohnraum dem Mann als «Raum zur Erholung und Schonung» diente.

In den 1950er bis 1970er Jahren beeinflusste das Familienbild die Wohnbauten. Es entstanden horizontal und vertikal gestaffelte Wohnkomplexe, die zweckmässig und auf das gemeinschaftliche Familienleben ausgerichtet waren. Frauen wurde das Leben einer «weiblichen Normalbiografie» zugewiesen, das für sie die Rolle als Gattin, Hausfrau und Mutter vorsah. Hausarbeit wurde weitgehend als Erscheinungsform von Liebe definiert, während die ausserhäusliche Tätigkeit des Mannes dem Erwerb und dem Unterhalt der Familie diente. Eine Vierzimmerwohnung mit einem Wohnzimmer für den «Fernsehfeierabend» und die «Verbannung» der Hausarbeit in die Küche und in die Kinderzimmer waren Indikatoren für die geschlechterspezifische Verteilung von Berufs- und Hausarbeit. Diese hierarchisierte Bewertung der Arbeitsbereiche von Frauen und Männern zeigte sich nicht nur in der Entlöhnung, sondern schlugen sich auch in der räumlichen Wohnungsgestaltung nieder. Ihre deutlichste Ausprägung zeigte sich Anfang der 50er Jahre, als Nasszellen und Küchen auf immer kleineren Flächen geplant wurden, oft gar ohne natürlichen Licht-, Luft- oder Sonneneinfall (beispielsweise Küchen auf der Schattenseite des Hauses). Im Gegenzug standen die grossen Räume für die Repräsentation, Freizeit, Ruhe und Erholung zur Verfügung und orientierten sich an der männlichen Lebenswelt. Dies obwohl die Männer viele Stunden ausserhalb des Hauses tätig waren und die Frauen bis zu sechs Stunden täglich in der klein gehaltenen, eher düsteren Küche verbrachten.

Mehr Raum für die Hausarbeit

Erst später, ausgelöst durch die feministischen Diskussionen der 1970er Jahre, forderten Frauen mehr Raum für die Hausarbeit. Architekten und Architektinnen, aber auch Stadtplaner und Stadtplanerinnen sahen sich mit den Forderungen konfrontiert, die Hausarbeit als «Fulltime-Job» anzuerkennen und nicht nur Wohnräume, sondern auch Arbeitsräume in den Wohnungen zu planen. Diese Forderungen blieben nicht ungehört – seit den 1980er Jahre sind Wohnküchen im Trend. Damit wurden Küchen zum sozialen und repräsentativen Raum. Dieser Trend hält bis heute an. Er zeigt sich in ausgeprägter Form auch darin, dass man Küchen mit immer edleren Materialien ausstattet. Durch die Anerkennung der Hausarbeit als «Fulltime-Job» wuchs auch das Bewusstsein für den Regenerationswert der Wohnung für Männer und für Frauen. Frauen brachen aus den Zwängen der «weiblichen Normalbiografie» aus und forderten Freiräume, wie beispielsweise «ein Zimmer für sich alleine». Aber auch die zunehmende, meist zusätzliche Erwerbstätigkeit der Frauen bekräftigte den Anspruch des weiblichen Geschlechtes auf den Regenerationswert im gemeinsamen Wohnraum. Das Bewusstsein für die Thematik der Vereinbarkeit von Beruf und Familie nahm zu. Es entstanden jetzt vermehrt Wohnbauten in erreichbarer Nähe zu Arbeitsstätten, Schulen, öffentlichem Verkehr.

Vom Zimmer zum Wohnraum für sich

Mit der Zunahme der Erwerbstätigkeit der Frauen ging ein einschneidender Wertewandel einher: Eine Frau ohne Ehemann galt nicht mehr länger als bedauernswertes Geschöpf. Die schnelle Zunahme der Einpersonenhaushalte ist Ausdruck davon, dass Männer und Frauen nun ihr Leben ökonomisch unabhängig vom anderen Geschlecht frei gestalten können. Der Anspruch «Ein Zimmer für sich» führte folgerichtig zur Erwartung eines «ganzheitlichen Wohnraums für sich alleine». So sind heute im europäischen Raum rund 40 Prozent aller Wohnungen Singlehaushalte. Die holländische Künstlergruppe Droog & Kesslers Kramer zeigte an der Architektur-Biennale 2008 in Venedig dazu das Wohnprojekt «SINGELTOWN». SINGELTOWN zeigte nicht nur, dass sich das geschlechterspezifische Rollenverständnis gewandelt hat (einer Frau wird nicht mehr ausschliesslich die Rolle einer Ehefrau, Mutter und Hausfrau zugeschrieben – und einem Mann nicht mehr ausschliesslich diejenige des Ernährers und Präsentators), sondern wies auch auf die veränderten gesellschaftlichen Wohnbedürfnisse hin. Diese sind nicht zuletzt eine Folge des demografischen Wandels (die höhere Lebenserwartung führt dazu, dass immer mehr Menschen im Alter alleine Leben) und der Migration (Menschen die zunächst ohne Familie in einem anderen Land auf Arbeitssuche sind). Aber auch die steigende Zahl der Scheidungen und der nachlassende Kinderwunsch führten zu einem grösseren Bedarf an Singlewohnungen.

«Unsere Wohnquadratmeter»

Wo führt das hin? Über die Zukunft und die Beeinflussung der Geschlechterrollen auf die Wohnbedürfnisse können wir nur mutmassen. Studien zeigen, dass Wohnen in Zukunft flexibel sein muss. Flexibel bedeutet, dass man sich von der Idee fixer Raumfunktionen und Raumkonstellationen verabschieden muss. Es werden neue Projekte entstehen, die den wandelnden Bedürfnissen mit anpassungsfähigen Wohnmodulen Rechnung tragen. So könnte beispielsweise das Wohnen in einem Containersystem schon bald die Wohnwelt erobern. Bei diesem System startet eine (Single-)Person mit einem Wohncontainer und erweitert ihr zu Hause je nach verändertem Wohnbedarf mit weiteren Wohncontainern. Diese werden auf oder neben dem ursprünglichen Container gestapelt. Je nach dem, wie sich das Leben gerade verändert, wird ein Bürocontainer oder ein Kinderzimmercontainer dazu gebaut. Eine weitere Zukunftsidee: «Meine Wohnquadratmeter» verwandeln sich in «unsere Wohnquadratmeter». Damit ist gemeint, dass es künftig über die eigenen vier Wände hinaus gemeinsam genutzten Wohnraum geben wird. Wir kennen das noch von älteren Mehrfamilienbauten mit der sogenannten «Waschküche». Zukünftig kann es durchaus sein, dass gemeinsam genutzte Küchen und Erholungsräume entstehen. Flexibles Wohnen, mit Rückzugsmöglichkeiten und der Möglichkeit nach Sozialkontakten, sowie nachhaltiges, umweltfreundliches Wohnen: So wird unser Wohnen der Zukunft sein. Wie weit diese zukünftigen Wohnformen von unseren Geschlechternormen beeinflusst werden, wird sich erst noch zeigen.

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