Hausmagazin
Von Innen nach Aussen, oder doch eher ganzheitlich?
Yvonne Rudolf, Dipl. Architektin ETH BSA
2018
Frau und Architektur? Das Fragezeichen legt nahe, dass es durchaus geschlechterspezifische Unterschiede bezüglich Rollen-Sachverständnis von uns Architekten und Architektinnen gibt, bzw. geben sollte! Ich bin keine Gesellschafts und keine Gender-Theoretikerin. Trotzdem wage ich als Praktikerin einen Blick über den eigenen Tellerrand und die eigene Befindlichkeit hinaus.
Während meiner Zeit als Studierende an der ETH Zürich startete das damals frisch gegründete Architektur Forum Zürich eine erste fulminante Ausstellung mit dem klingenden Titel «Ladies First, Frauenarchitektur oder Architekturfrauen»*. Das Forum war in einer Zeit vor der Verbreitung elektronischer Medien ein Sprachrohr für die damalige Architektenschaft. Die Ausstellungkonzentrierte sich auf die Fülle persönlicher Stellungnahmen von Architektinnen zu ihrem Architekturverständnis, weniger auf die Bauten. Der Kern der kontrovers diskutierten Fragestellung war– wie der Titel vermuten lässt –, ob es tatsächlich so etwas wie eine weibliche Architektur gäbe oder ob die Architektinnen im Grunde dasselbe wie ihre männlichen Kollegen täten.
Die Ausstellung fand über die Fachkreise hinaus in den damaligen Medien eine bemerkenswerte Beachtung. Ich verspürte bereits damals eine grosse Skepsis gegenüber der implizierten These, dass die Architektur von Frauen anders herauskomme, als die Architektur der männlichen Kollegen. Ich war überzeugt, dass sich Leidenschaft, Talent und Fleissgeschlechter unabhängig durchsetzen. Die Thematik war für mich ambivalent und sie ist es bis heute. Ich selber fand in der Geschlechterthematik für meinen beruflichen Weg keine Identifikation.
In diesem Jahr veranstaltet das Deutsche Architektur Museum Frankfurt eine Ausstellung mit dem Titel «Frau Architekt – Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architektenberuf» (siehe auch Seite 26ff). Mit dem Verweis auf das Fragmentarische und Offene der Auslegeordnung wird anhand von Architektinnenportraits bewusst gemacht, dass Frauen wichtige baukulturelle Leistungen vollbracht haben und bringen.
Wiederum kann die äusserst vielschichtige Thematik nur ansatzweise dargestellt werden. Sie ist teilweise bezüglich der Autorenschaft von Architektur stark emotional aufgeladen. Implizit wird von einer Benachteiligung der weiblichen Protagonisten ausgegangen.
So ist auch aus meiner Sicht das zuweilen festgestellte Vorurteileiner breiten Masse, dass Frauen mehr Feingefühl für Farben und Formenaufbringen würden oder mehr von Innen nach Aussen entwerfen würden, in keiner Art und Weisehaltbar.
Berufs- versus Rollenbild
Seit der Ausstellung im Forum in Zürich liegt eine ganze Generation. Eine Zeit in der gesellschaftlich und technologisch viel passiert ist, auch in Bezug darauf, wie Architektinnen und Architektenzeichnen und kommunizieren. Und bezüglich des Rollenbildes in der Architektur? Wie viel hat sich da getan? Ein derart komplexes Berufsfeld wie das des Architekten oder der Architektin ist äusserst fordernd. So sind im Studium wie auch in der Praxis, entwerferische Hingabe, Kreativität, Zielorientierung und Kommunikation, technisches Verständnis, vernetztes Denken und eine gute Auffassung von Prozessen wichtig. Die erforderlichen Schlüsselkompetenzen können nicht dem einen oder anderen Geschlecht zugeschrieben werden. Dies ist aus der heutigen Perspektive indiskutabel. So ist auch aus meiner Sicht das zuweilen festgestellte Vorurteil einer breiten Masse, dass Frauen mehr Feingefühl für Farben und Formen aufbringen würden oder mehr von Innen nach Aussen entwerfen würden, in keiner Art und Weise haltbar.
Am Anfang gleich viele Männer wie Frauen
Speziell an unserem Beruf ist, dass er im Gegensatz zu anderen Berufen, von gleich viel jungen Frauen wie auch Männern ergriffen wird. So ist heute jede(r) zweite Studierende weiblich, in den 1980er Jahren war es noch nur jede(r) dritte Studierende. Trotzdem flacht der Anteil der Frauen im Berufsalltag bedeutend ab. In allen Branchen arbeiten überdurchschnittlich viele Frauen in Teilzeit Pensen. Im Architektenberuf zeigt sich jedoch der Trend, dass sich eine nicht geringe Zahl von Studienabgängerinnen über kurz oder lang ganz aus dem Berufsfeld verabschiedet oder in verwandte Berufsfelder abwandert.
Es ist leider so, dass die Anforderungen im komplexen Architektenberuf eine Teilzeitarbeit und somit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erschweren. Oft sind es die Mütter, die wegen der Betreuung der noch kleinen Kinder ein stark reduziertes Pensum leisten. Weil es mit einem reduzierten Pensum nicht mehrmöglich ist, im stark kommunikations- und prozessorientierten Arbeitsalltag proaktiv teilzuhaben, trifft es uns Architektinnen bezüglich Vereinbarkeit von Beruf und Familie besonders empfindlich, wenn wir Kinder bekommen. So ist es dann einfach nicht mehr möglich, in Projekten Leitungsfunktionen oder in einem Wettbewerbsteam proaktiv tätig zu sein, was das Wirkungsfeld entsprechend einschränkt und von allen Mitbeteiligten eine hohe Aufmerksamkeit erfordert.
Berufsopfer: Kinderlosigkeit
Ich erinnere mich schmerzlich an die damals vor rund 20 Jahren vertretene Haltung bezüglich Teilzeitarbeit und Elternschaft in einem renommierten Architekturbüro. Die Mitarbeiter hatten kinderlos zu sein, an planbare Arbeitszeiten und an Teilzeitarbeit war nicht zu denken. Gefragt war die bedingungslose zeitliche Belastbarkeit. Eine solche Haltung gegenüber Mitarbeitern ist heute ein absolutes «No-Go». Bedenkenswert ist, dass viele der damaligen Studienabgängerinnen kinderlos geblieben sind, teils bewusst, teils ungewollt. Sowohl von weiblichen wie auch männlichen Architekten wird heute zunehmend der Wunsch nach partnerschaftlicher Aufteilung der Arbeitspensen zwischen Mann und Frau geäussert. Die Arbeitsrealität in der Baubranche mit ihrer in den letzten Jahren angewachsenen Dynamik steht dem nach wie vor entgegen. Wie dieser Konflikt gelöst werden kann, stellt eine grosse gesellschaftliche Herausforderung an unsere Branche dar.
Die Praxis zeigt, dass beim Willen miteinanderetwas zu bewegen und Bedürfnisse aufeinander abzustimmen, Vieles gelingt.
Baukonjunktur hilft
Trotzdem beobachte ich in den letzten Jahren einen grossen Wandel. Ich stelle fest, dass die heutigen jungen ArchitektInnen viel entspannter mit dem Thema Familie und eigenen Bedürfnissen umgehen, als es unsere Generation tat. Der Tenor ist: Locker bleiben und schauen, wie die Doppelbelastung organisiert werden kann. Die Gründe sind gemäss meiner Interpretation vielschichtig. In den 1990er Jahren befand sich die Baubranche in einer tiefen Rezession, dementsprechend war eine gewisse Vorsicht bis hin zur Zukunftsangst dominierend. Die Bauindustrie hat inzwischen eine lange Konjunktur erlebt, und gemäss meiner Einschätzung hat dies einen Einfluss auf ein positives Selbstverständnis und einen gewissen Optimismus. Die Praxis zeigt, dass beim Willen miteinander etwas zu bewegen und Bedürfnisse aufeinander abzustimmen, Vieles gelingt. So gibt es einerseits erfolgreiche Frauenbüros mit und ohne Teilzeitarbeit sowie viele funktionierende Büro- und Lebenspartnerschaften zwischen Mann und Frau.
So bewegen wir uns also immer im Spannungsfeld zwischen Wünschen, Wollen und Können.
Ich hoffe, dass es uns zukünftig noch besser gelingt, Berufsbilder und Arbeitssituationen aktiv an rollende Veränderungen anzupassen. Dies erfordert viel Kommunikation im Team und ein proaktives Strukturieren der Arbeitsprozesse. Gefordert sind alle Beteiligten. Wir müssen uns alle neu definieren. Umso mehr brauchtes nach wie vor Verantwortungsgefühl und Identifikation jedes Einzelnen.